Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt: "Nur nicht BEQUEM werden!"


Genießt seine Arbeit und seinen Sport: Der 81-jährige Mediziner 
Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt 

Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt zählt zu den berühmtesten Ärzten Europas. Er erklärt, was uns zu schnell altern lässt, und gibt besondere Tipps für Gesundheit und Ernährung im Alltag

17 Dec 2023 - Welt am Sonntag
VON JULIEN WOLFF Frau Karin

Freitagnachmittag in der Praxis von Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, 81, in der Münchner Innenstadt. Ein FußballProfi ist an diesem Tag einer der letzten Patienten des wohl bekanntesten Sportmediziners Europas. Müller-Wohlfahrt, der auch Basketball-Star Dennis Schröder und viele Football-Profis aus den USA behandelt, ist wie jeden Tag seit acht Uhr früh bei der Arbeit. WELT AM SONNTAG empfängt er zum Gespräch in einem Ledersessel.

WELT AM SONNTAG: 
Was hat Sie in diesem Jahr medizinisch ganz besonders beschäftigt?

DR. HANS-WILHELM MÜLLER-WOHLFAHRT: 
Das Thema Migräne, und wie ich es weiter vertiefen kann. Meine Kollegen Niklas Haberstroh, Andreas Schubert sowie mein Sohn Kilian und ich haben in unserer Praxis so viel Elend gesehen, was dieses Leiden betrifft. Migräneschmerzen können grausam sein und einem darüber hinaus sämtliche Energie und Lebensfreude rauben. Eine gefährliche Entwicklung aus den USA schwappt immer mehr zu uns nach Europa rüber: Eine Therapie mit den stärksten Schmerzmitteln, unter Zusatz von Opiaten. Davon werden die Menschen abhängig – und depressiv. In den USA gibt es extrem viele Selbstmorde aufgrund dieser Medikation. Manche Patienten leiden seit Jahrzehnten unter Migräne. Ich habe mir daher zu Beginn dieses Jahres eine Mission auferlegt: Herauszufinden, was die Migräne auslöst. Und wie ich besser helfen kann.

Welche Antworten fanden Sie?

Ich hatte Kontakt aufgenommen zu einer Reihe von Fachleuten und danach aufgrund persönlicher Erkenntnisse und Erfahrung eine eigene Behandlungsmethode frei von Schmerzmitteln entwickelt. Auslöser ist immer eine anhaltende Muskelverspannung bis Verkrampfung im Bereich der oberen Halswirbelsäule mit der Folge einer Verhärtung ihres sehnigen Ansatzes am Hinterkopf, insbesondere des M. Semispinalis. Der unter der Verhärtung verlaufende Nervus occipitalis major erleidet dadurch einen starken Druck und verursacht äußerst heftige Schmerzen in seinem gesamten Versorgungsgebiet. Darüber hinaus wird der N. trigeminus stimuliert und aktiviert, der mit dem N. occipitalis verschaltet ist und im Bereich der Schläfe und Stirn nahezu unerträgliche Schmerzen verursacht und für das Druckgefühl hinter den Augen verantwortlich ist. Der Nervus vagus kann mitbetroffen sein und Magensymptome wie Übelkeit auslösen. Eine Patientin sagte Anfang des Jahres zu mir: „Ich lebe kein Leben!“Sie war arbeitsunfähig. Heute ist sie schmerzfrei und reist mit ihrem Wohnmobil durch Europa. Sie kann ihr Leben wieder genießen.

Wie konkret konnten Sie helfen?

Ich erwarte von meinen Migräne-Pa- tienten, dass sie solche Mittel vor der Behandlung bei mir absetzen. Die Ursa- che liegt im Bereich der oberen Halswirbelsäule. Die Behandlung dort besteht in der Lockerung der verkrampften Muskeln mittels Infiltrationen, Aufweichung der verhärteten Muskelsehnenansätze am Hinterkopf, Mobilisierung des oft blockierten Halswirbels C1 durch unseren Osteopathen. Die Patienten sind nach wenigen Behandlungen stabil schmerzfrei.

Sie beschäftigen sich auch intensiv mit der Wirbelsäule. Weshalb?

Weil die Wirbelsäule in ihrer Bedeutung allzu oft unterschätzt wird. Die Wirbelsäue ist die Schaltzentrale unseres Körpers, das zentrale Achsenorgan des Menschen. Von hier aus werden über motorische Nervenbahnen die Muskeln von Armen, Beinen und Rumpf gesteuert und koordiniert. Schäden oder Funktionsstörungen im Bereich der Wirbelsäule können empfindliche motorische Störungen, Schmerzen oder auch Muskelverletzungen im Sport verursachen.

Schätzungen zufolge haben 80 Prozent der Menschen in den westlichen Industrienationen mindestens einmal Schmerzen an der Wirbelsäule, wegen der sie sich an Ärzte wenden müssen.

Das liegt vor allem an den Lebensgewohnheiten. Wir sitzen viel zu viel – im Auto, auf dem Sofa, bei der Arbeit. Und wir bewegen uns zu wenig. Das geht schon bei den Kindern los. Leider wird die Schule ihren Pflichten in dieser Hinsicht nicht mehr gerecht, das regt mich auf. Sportunterricht fällt viel zu oft aus. Pro Woche müssten es mindestens drei Stunden Sport sein. Schulsport hat bei uns in Deutschland einen viel zu geringen Stellenwert. Zudem fehlen Grünflächen zum Toben. Da haben uns andere Länder einiges voraus. Die Kinder in unserem Land sitzen bis zu acht Stunden am Tag – das kann nicht sein. Studien haben ergeben, dass Kinder, die Franz Beckenbauer, Sohn Sport treiben, aufnahmefähiger und wohl auch klüger sind. Bewegung ist das Lebenselixier des Menschen.

Wie können Erwachsene gegen die Folgen des vielen Sitzens anarbeiten?

Ein Stehpult beim Arbeiten kann helfen. Beim Telefonieren aufstehen und im Büro auf und ab gehen oder auch gymnastische Übungen am Arbeitsplatz soweit dies möglich ist. Je älter wir werden, desto schwächer wird die Muskulatur. Umso mehr müssen wir tun. Anderenfalls gibt es sehr viele Begleitschäden und schlimme Erkrankungen wie Migräne, Tinnitus und Schwindel, alles von der Halswirbelsäule ausgehend. Und Probleme, die von der Lende her rühren: Hexenschuss und Ischias-Beschwerden zum Beispiel. Den Menschen fehlt aufgrund von Bewegungsmangel oft das Muskelkorsett, das die Wirbelsäule zusammenhält. Beim Thema Bewegung gibt es keine Ausreden. Nur Bewegung setzt die nötigen Reize für Muskeln, Knochen und Knorpel. Der Schlaf, die Verdauung und das Immunsystem können mit der Bewegung auch verbessert werden. Auch der Herzmuskel muss durch Sport trainiert werden. Unser gesamtes körperliches System lebt von der Bewegung. Nur nicht bequem werden! Und: Nur bei Muskelarbeit wird Fett verbrannt.

Wie oft treiben Sie Sport?

Zweimal pro Woche gehe ich laufen. Egal, wo ich bin. Ich habe meine Laufschuhe auf jeder Reise dabei. Kürzlich bekam ich eine Stirnlampe geschenkt, war damit sogar im Nebel laufen. Herrlich! Ich habe im Winter und Sommer dieselbe Laufkleidung an, verzichte auf eine Mütze. Nicht empfehlenswert – aber ich will mich abhärten.

Viele nehmen sich für 2024 eine gesündere Ernährung vor. Was sind hierbei die wichtigsten Grundsätze?

In jungen Jahren kannst du dich genüsslich satt essen und brauchst keine Nahrungsergänzungsmittel – im Alter aber braucht es die sehr wohl. Etwa ab 65 Jahren können wir nicht mehr so viel Nahrung zu uns nehmen, wenn wir unser Gewicht halten wollen. Aber wo sollen dann die lebensnotwendigen Nährstoffe herkommen? Eine Reihe von Nährstoffen ist unbedingt empfehlenswert.

Welche?

Aminosäuren zum Beispiel, von denen es acht essenzielle gibt, die der Körper nicht selbst produzieren kann. Unser Gehirn ist leistungsfähiger, wenn alle Aminosäuren ausreichend vorhanden sind. Der Körper baut beispielsweise aus der Aminosäure Tryptophan zusammen mit Zink, Folsäure und B-Vitaminen den Botenstoff Serotonin, das für positive Energie sorgt. Ich habe viele Patienten, die sich vitaler und wohler fühlen, seitdem sie Aminosäuren ergänzen. Wir können dem Gehirn und jeder Körperzelle damit helfen zu regenerieren. Ab 75 Jahren sind Aminosäuren als Nahrungsergänzungsmittel in meinen Augen ein Muss. Viele Internisten sagen: „Das braucht es alles nicht.“Ich se- he das anders – und stehe dazu.

Was braucht es noch?

Häufig Zink, Magnesium und Vitamin D3. Hier sehe ich die meisten Defizite. Zink ist ein Katalysator für die Neubildung von Eiweißstrukturen und stärkt das Immunsystem. Der Zinkwert muss im Normbereich sein! Magnesium sorgt für Herzkraft, bei etwa 70 Prozent aller Herzinfarkte liegt ein Magnesiummangel vor. Vitamin D3 unterstützt den Knochenstoffwechsel und das Immunsystem. Auch die Harnsäure sollte man beachten. Leider spielt sie in Deutschland eine viel zu kleine Rolle.

Inwiefern?

Die Obergrenze der Harnsäure im Blut wird sehr unterschiedlich gesehen, von sechs bis acht Milligramm pro Deziliter. Ein zu hoher Wert führt zu Knorpelerweichung, Bandscheibenschäden und Bindegewebeschwäche. Herzkranzgefäßerkrankungen sind oft auf Kalkablagerungen zurückzuführen. Ich sehe auf Röntgenbildern häufig, wie Kalkplaques sich in den Arterien der Patienten abgelagert haben. Und stelle dann unverhältnismäßig oft erhöhte Werte der Harnsäure und des Cholesterins fest. Ist der Blutdruck dann auch noch zu hoch, so muss man mit der Ausbildung einer Arteriosklerose rechnen.

Wie kann man vorbeugen?

Regelmäßige Laboruntersuchungen vornehmen. Wo stehe ich? Was geht in meinem Körper vor? Wo habe ich Defizite? Ich schwöre auf Laboruntersuchungen. Das ist kein großer Aufwand.

Was raten Sie bei der Ernährung?

Wir müssen regional und saisonal denken. Man sollte sich öfter fragen: Was gibt die Jahreszeit in meiner Region her? Grünkohl im Winter zum Beispiel ist sehr gesund. Schwarzwurzeln und Kohl sind etwas aus der Mode gekommen, aber empfehlenswert. Mit Weizenmehl, zum Beispiel in Pasta und in Weißbrot, zurückhaltend sein. Gerade im Alter muss die Auswahl der Lebensmittel noch überlegter sein. Nur wenig Fleisch, wenig Milchprodukte. Ich muss immer wieder feststellen, dass viele sich zu einseitig ernähren.

Welche Folgen hat das?

Dadurch übersäuert der Körper allzu oft. Grund ist meist Unwissenheit. Es ist erschreckend, wie sich diese Übersäuerung auf das Bindegewebe auswirkt. Ich sehe solche Fälle jeden Tag. Durch die Säure wird das Bindegewebe kompakt. Es wird beinahe undurchlässig. Was die meisten nicht wissen: Die Nährstoffe, die zur Körperzelle gelangen müssen, werden in der Endstrecke nicht mehr über Gefäßkapillaren transportiert, sondern über das Bindegewebe. Die Nährstoffe kommen also nicht mehr oder in vermindertem Maße ans Ziel. Wissen Sie, was das bedeutet? Alterung! Die Zelle verkümmert. Und der Mensch altert viel früher. Ich kann also am Bindegewebe fühlen, ob sich jemand gesund ernährt.

Was hilft gegen Übersäuerung?

Äpfel und Bananen zum Beispiel wirken basisch. Sie neutralisieren Säure. Genauso wie Kartoffeln oder grünes Blattgemüse. Da müssen sich Interessierte einfach mal schlau machen, es gibt so gute Ernährungsbücher. Die Menschen sollten sich nicht nur Rezepte besorgen, sondern sich inhaltlich mehr mit dem Thema Ernährung beschäftigen. Sie müssen sich mehr mit ihrer Gesundheit auseinandersetzen. Jeder ist sich selbst gegenüber verpflichtet, gewissenhaft mit seinem Körper umzugehen.

Immer mehr Menschen leiden unter Rückenproblemen. Was ist die richtige Methode zur Diagnose?

Rückenschmerzen sind zur Volkskrankheit geworden. Kernspinbilder können bei der Diagnostik helfen, sind aber nicht alles. Auf den Bildern sieht man nicht die funktionellen Störungen oder Verletzungen. Wenn ein Muskel verkrampft ist, kann man das auf den Kernspinbildern nicht erkennen. Eine Muskelzerrung oder eine neurogene Muskelverhärtung kann ein Radiologe nicht sehen. Viele Ärzte verlassen sich ausschließlich auf Kernspinbefunde. Ein einfacher Weg! Aber die theoretischen Befunde stimmen oft nicht mit den praxisbezogenen Untersuchungsergebnissen überein.

Wo wir beim Thema Sitzen waren: Oft entstehen dadurch Nackenschmerzen. Wie lassen sich diese vermeiden oder behandeln?

Ich empfehle, morgens mit ansteigender Wärme zu duschen. Dabei die rechte Hand außen an den rechten Oberschenkel legen, die Schultern betont unten lassen und den Kopf zur linken Seite neigen. Dafür etwas Zeit nehmen. Danach dasselbe auf der anderen Seite. Man spürt danach eine Entspannung in den Schultern und im Nacken. Zudem gibt es eine weitere effektive Übung für die Lende, die ebenfalls morgens im Bad einfach durchzuführen ist: Sich schulterbreit in gebührendem Abstand je nach Körpergröße vor das Waschbecken stellen, daran festhalten und den Po bei gestreckten Beinen langsam nach hinten drücken. Immer noch ein bisschen weiter. Dann die eine Seite mehr betonen und danach die andere. Wer morgens steif aus dem Bett kommt, ist nach diesen recht simplen Übungen frei von Verspannungen.

Wer im neuen Jahr gesünder leben möchte – welchen Grundsatz geben Sie ihm oder ihr mit auf den Weg?

Man sollte sich mit einer Sportart anfreunden, die einem Spaß macht. Ohne Sport geht es nicht. Ein Wohlfühl-Gefühl gibt es nur in Verbindung mit Bewegung. Filme, Bücher und Computer sind notwendig – aber das fördert nicht die Gesundheit.

Welchen Sport empfehlen Sie für Ältere?

Fußball und Handball eher nicht, da die Verletzungsgefahr bei Untrainierten recht groß ist. Aber es gibt so viele Möglichkeiten: Fahrradfahren, Laufen, Walken – die berühmten 10.000 Schritte pro Tag kann man damit locker schaffen. Wer Gelenkprobleme hat: Fahrrad fahren geht so gut wie immer. Oder der Crosstrainer, auf dem man ganz sicher schnell ins Schwitzen kommt. Egal, bei welchem Sport: Durchgeschwitzt zu sein – ein herrliches Gefühl!

Welche Vorsätze haben Sie für 2024?

Weiterhin Freude zu haben an meinem Tun, mir treu zu bleiben, und meine Disziplin zu bewahren. Schon als Kind gab es zum Beispiel auf dem langen Schulweg keine Rücksicht auf das Wetter. Morgen werde ich wieder joggen gehen. Es gibt keine Ausreden. Danach fühle ich mich immer wunderbar. Und ich möchte weiter Klavier spielen. Dabei bin ich in einer eigenen Welt, das ist für mich wie Meditieren.

Sie werden im August 82 Jahre. Wie lange wollen Sie noch arbeiten?

Das werde ich jeden Tag gefragt. Der Himmel wird mir zeigen, wann es genug ist. Solange der Himmel es weiterhin gut mit mir meint – arbeite ich. Ich kann mir ein Leben ohne meine Arbeit mit Patienten nicht vorstellen.



Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt 
Der einstige Leichtathlet wurde am 12. August 1942 als Sohn eines Pastors in Leerhafe in Niedersachsen geboren. 
Er promovierte 1971 an der Universität Kiel. 
In den 1970er-Jahren war er zwei Saisons Teamarzt von Hertha BSC, später bis 2020 Mannschaftsarzt des FC Bayern. Zudem war er Arzt der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. 
Zu Müller-Wohlfahrts Patienten zählten unter anderem Eric Clapton, Boris Becker und Herbert Grönemeyer. Sein Kilian ist ebenfalls Mediziner, seine Künstlerin.


Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt 
Ex atleta, è nato il 12 agosto 1942 a Leerhafe, in Bassa Sassonia, figlio di un pastore. 
Si è laureato all'Università di Kiel nel 1971. 
Negli anni '70 è stato medico sociale dell'Hertha Berlino per due stagioni e poi del Bayern Monaco fino al 2020. 
È stato anche medico della nazionale di calcio tedesca. 
Tra i pazienti di Müller-Wohlfahrts figurano Eric Clapton, Boris Becker e Herbert Grönemeyer. 
Anche suo figlio Kilian è medico e artista.

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